Freitag, 12. August 2011

Heimat und Familie und Zombies

(Titel inspired by Pride and Prejudice and Zombies)

Eigentlich sagt der Traum von Samstag auf Sonntag schon alles, und dazu braucht man keine Heidi: Ich war mit einem kleinen Begleiter (wer auch immer das war) unterwegs und mußte höllisch aufpassen: je nachdem welche Tür man aufmachte, welche Kleidung man aussuchte oder in welche Richtung man sah, verwandelten sich die Menschen in Zombies oder Zombies tauchten in Horden auf. Zum Höhepunkt des Ganzen stellte ich mich schützend vor die versammelte Gruppe von noch gesunden jungen und alten Menschen und schrie "Das sind alles meine KINDER!"

So gehts ja nu mal gar nicht.

Die Besuche in der alten Heimat werde ich nochmal überdenken müssen. Die Schwester ist mittlerweile im Vorruhestand und geht ganz in Haus- und Gartenarbeit auf, wenn sie nicht grade mit ihrem Mann ihren Lagerkoller auslebt, ohne Rücksicht auf eventuell vorhandenes Publikum. Wenn sie vom Tisch aufsteht, humpelt sie schon wie meine Mutter damals.
Wenn der vorletztes Jahr verwitwete Onkel zu Besuch kommt, ist das kein Besuch sondern eine Hausbesetzung. Ich mag ihn ja gerne, und er ist auch furchtbar einsam, weswegen er auch in Rente noch fast Vollzeit Trucker fährt, aber die Geschichten von Raststätten, Autobahnen und wo man wie mit wem am besten ab- und auflädt, würden nicht mal seinen nicht vorhandenen Hund interessieren.
Rosemarie und Jakob von gegenüber, die mir jedes Mal morgens früh selbst erzeugte Eier auf die Haustür legen, werden bald 80 respektive 85, er derselbe Jahrgang wie mein Vater. Seine beginnende Senilität läßt ihn langsam milder werden, aber er springt tausendmal schneller auf den Trecker und wieder runter als ich das jemals könnte. Dennoch wurde es doch irgendwann anstrengend, ihn, sehr zu seinem immer wieder erneuten Staunen, an meinen Geburtsjahrgang zu erinnern, und daß ich mich unmöglich beispielsweise an seine Großeltern erinnern könne. Rosemarie und Jakob wird die Luft jetzt langsam auch dünn, fast alle älteren Menschen im Umkreis sind tot, und es war sehr ergreifend, als er aufsprang, um mir noch mehr alte Geschichten zu erzählen, als ich gehen mußte, und die Tränen seine Wangen nur so runterrannten, und auch Rosemarie rote feuchte Augen bekam.
Dort heulend raus, was dann der angemessene Gefühlszustand war, mich von meiner anderen Nachbarin Maria zum letzten Mal zu verabschieden. Sie hat überall Metastasen und alles ist absehbar. Die letzte der Kniffelweiber, seit Mom und Tante tot sind, mit denen dieses öde Spiel einen unglaublich anarchischen Spaß gemacht hat. Ganz ohne Kommentar hat sie das Sockenstricken und Plätzchenbacken für mich zu Weihnachten übernommen, nach dem Tod der Tante, die das damals kommentarlos von meiner Mutter übernommen hatte. Maria hat unsere Familie ihr ganzes Leben lang begleitet, was durchaus auch genervt hat, wenn sie 3-5 Mal am Tag einfach vorbei kam. Aber sie hat sich unglaublich um Mutter gekümmert, die 15 Jahre lang, als Schwester Mechthild immer wieder so todkrank war, und auch, als sie ud Vater starben. Sie hat mir damals damit einiges abgenommen, und wurde dafür von uns nicht immer unbedingt gut behandelt.
Nun macht sie alles richtig: lehnt Chemos ab, und läßt nur die ein oder andere selektive Bestrahlung zu, um Schmerzen zu lindern, oder zu verhindern, daß der Tumor am Hals ihr die Luft zu schnell vollends abdrückt.
Sie hat allen Leuten Hausverbot erteilt, die ihr sagen wollen, daß "alles wieder gut wird" und sich nicht mit ihr ihrer Realität stellen wollen. Sie hat sich dafür entschieden, bewußt zu sterben, und die Zeit zu nutzen, Gespräche zu führen, alte Feindschaften zu begraben, jahrzehntelange Mißverständnisse auszuräumen, und die ihr zustehenden Tribute zu genießen.
Es war schön, in den drei Besuchen ihr noch zu warmen Herzen Danke sagen zu können, dafür, wie sie sich um unsere Familie gekümmert hat, mir versucht hat, ein Stück Heimat zu geben, als meine Mom gestorben ist, und nicht zuletzt, daß dort immer gespielt wurde, als ich klein war, im Gegensatz zu zu Hause, und ich dort immer willkommen war. Meine Spielfreude habe ich definitiv von dort.
Lebendig sehen werde ich sie wohl nicht mehr, wahrscheinlich hat sie sich deswegen die Mühe gemacht, mich mit der Gehhilfe zur Haustüre zu begleiten, um mir so winkend ein letztes Bild zu schenken. Es war schön, mit ihr weinen zu können, letzte Dinge zu besprechen, etwas von ihrem Mut mitzubekommen.

Das alles ist gut für mich, und auch nicht gut für mich. Es gibt mir unglaublich viel, ist Heimat, Erkanntsein, und doch, es kostet so viel Kraft und Energie, Energie, die ich viel dringender für die Gestaltung meines eigenen Hier und Jetzt und Morgen bräuchte.

Am dritten Tag nach meiner Rückkehr bin ich jetzt wieder langsam so weit, vielleicht mal wieder unter die Leute zu gehen, ich habe mich erholt, fühle mich wohler in meiner Haut als vor dem Besuch, das Gefühl, alle Schulden los zu sein, auch beschenkt worden zu sein.
Und doch, wenn man meinen Eintrag von vor 4 Jahren, noch von vor dem großen Sterben, liest, kann man mit Marlene fragen "When will they ever learn?"
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