Sonntag, 3. September 2006

mechthild

Heute vor 20 Jahren ist meine Schwester Mechthild gestorben. Sie, die nicht mal 30 wurde, meine schöne. lustige, mittlere, größere Schwester, immer war sie 10 Jahre älter als ich. Jetzt bin ich 10 Jahre älter als sie jemals geworden ist. Eine Logik, der ich nicht mehr folgen kann, und ich kann mir auch nicht vorstellen, wie sie heute wäre, mit Ende 40. Meine Schwester Mechthild habe ich nur mein halbes Leben lang gehabt.
Nicht mal 30 ist sie geworden, und von den 30 kläglichen Jahren, die sie hatte, war sie 15 Jahre krank, ihr halbes Leben, sehr krank, zwar mit Pausen von einem halben oder ganzen Jahr, aber Hodgkin ist keine spassige Angelegenheit.
Ich glaube aber nicht, daß Mechthild ihre 30 Jahre kläglich fand, immer wenn sie etwas Pause zwischen OP und Chemotherapie hatte, plante sie, Kinder, ein Haus, ein nächstes Projekt.
Und kümmerte sich, um Freunde, um die Famile, sie war die Sonne und der Zusammenhalt, der Mittelpunkt der Familie, nie ein Fall für Mitleid oder Rücksicht. Ich weiß zum Beispiel nicht, wie sie es geschafft hat, mir regelmäßig ein Mittagessen zu arrangieren, wenn sie chemotherapiebedingt, nach einem Morgen voller Kotzen, halbkahl, mit kaltem Schweiß vom Morphiumentzug und auf anderen Medikamenten trotzdem frische Brötchen hatte, und meinen Pubertätsproblemen lauschte, als gäbe es nichts wichtigeres.
Sie hat sich jedenfalls vom Tod nicht das Leben versauen und auch nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Ich weiß nicht, wie oft sie, von den Ärzten aufgegeben, dem Tod von der Schippe gesprungen ist, furchtlos, aus reinem puren Lebenswillen.
In unserer nicht grade freudigen Familie war sie die Lebensfreudige, die Lebenshungrige, die Sonne, das Kraftwerk, der Spaßfaktor. Es gibt viel was ich von ihr lernte, und es gibt noch viel zu lernen. Ich wünschte ich hätte auch nur ein Zehntel ihres Lebenswillens und ihrer Lebensfreude.
Selbst ihr Tod war ein Lebensgeschenk - wir konnten ihre letzten Tage rund um die Uhr mit ihr verbringen, sie begleiten, verstehen, was passiert und uns nach und nach von ihr verabschieden, sie gehen lassen. In dem Moment, wo sie ihren letzten Atemzug tat, kam die Sonne hinter den dunklen Wolken hervor und erfüllte das Krankenzimmer mit einem goldenen Licht - wir fielen uns in die Arme und weinten - vor Glück. Sie schenkte mir in der folgenden Nacht noch einen Traum, der keiner war, und seitdem habe ich keine Angst mehr vor dem Tod. Den erzähle ich Ihnen vielleicht mal persönlich, er ist ein Geschenk zum Teilen und Weiterschenken, aber er ist auch nicht dazu, verwässert zu werden.
Aber sie fehlt. Ihre Abwesenheit ist ein klaffender Krater in der Mitte der Familie, mit der Zeit haben alle gelernt, am Rand entlang zu balancieren, mit tapferer Mine, und nicht mehr abzustürzen. Das schulden wir Mechthild, nur leider gelingt es keinem von uns, das Leben so prall anzufüllen, wie sie es hätte tun können.
Ich würde mir gerne vorstellen, wie es heute mit ihr wäre, wenn sie mich in Berlin besucht, wenn ich sie in Ihrem Haus besuche, die Patenkinder aufwachsen zu sehen, die es nie gab. Selbst diesen traurigen Gedanken liegt eine Freude inne, denn ich weiß es wäre schön gewesen.
Aber um selber weiterzuleben, muß man solche Gedanken gehen lassen.
Hildegard Knef hat einmal gesagt, sie habe mehr überlebt als gelebt. Das hört sich sehr traurig an. Mechthild hat zwar nicht überlebt, aber sie hat auf jeden Fall gelebt, und das ist das Wichtigste, und da kommt es vielleicht nicht so sehr drauf an, wie lange, sondern wie sehr.
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