Freitag, 14. September 2007

das amt, der lucky und die menschenwürde

Wie Herr Lucky also erfuhr, braucht er eine Bescheinigung von verhaßten Führerscheinamt, damit er auf der schönen Insel nicht nur am Flughafen sitzen bleiben muß.

Flugs begab er sich in die unglückseligen Hallen, und nach nur 3x falsch geschickt werden betrat er einen Flur, der Kafkas kranken Gedanken entsprungen sein muß. Ca. 25 Türen, der Zuständigkeit halber, Bre-Dab, Dac-Ert usw sortiert. Der Flur signalisiert 'Lasset alle Hoffnung fahren', deutlicher noch prangt das rote Schild und sagt: 'Maßnahmen gegen Führerschein-Inhaber'. Kein falsches zeitgemäßes Dienstleistungsgeschwurbel hier.

Ebenfalls im Sinne Kafkas finden sich 90% der Türen fest verschlossen, auf die jeweilige Nachbartür verweisend.
Endlich eine offene zuständige Tür erwischt, deren Bewohner gleich beim ersten Anblick dringliche Unzuständigkeit vermittelt.

Der stark sächselnde zeitlos 60Jährige begegnet meinem Anliegen, noch bevor ich zu Ende gesprochen habe, mit Inbrunst: 'Sowas gibts gornet'
Mein Einwand, ich hätte telefonisch eine andere Auskunft erhalten, erntet den Standardabwehrschritt 'Jo des müssense schriftlich beantragen, dann bekommense eine Aufforderung zur Zahlstelle, dann wird ihnen das POSTALISCH zugestellt.'
Ich glaube nicht, daß der Mensch sich schon mal die Homepage seines Amts angeguckt hat, welches Bürgerfreundlichkeit simuliert. In seinen ewigen 60ern gibt es keine Homepages.

Mein Einwand, das könne er mir nicht antun, mein Flug gehe am Samstag, erntet einen verständnislosen Blick und die Auskunft, das 'ginge sowieso net, weil die Akte im Archiv eingelagert ist, und erst angefordert werden muß'.
Meinem Blick auf seinen Rechner auf dem Schreibtisch folgt er mit hilflosem Blick. Das sei nicht so einfach, er brauche nunmal die Akte, begegnet er meiner Überzeugung, das er sicher nur im Rechner nachschauen müsse, und das dauere Tage.

An der Wand hinter seinem Schreibtisch hängt neben der wohl amtlich vorgeschriebenen vergilbten Sansevierie ein handgemaltes Bild mit Fotos von Familienangehörigen, in der Mitte ein Portrait meines Unzuständigen, mit der Unterschrift in buntem Enkelkinderfilzstift: Herr Schlaumeier.

Das ist der Moment, an dem Herr Lucky seine Murmeln verliert und seine Menschenwürde abgibt. Er wird laut, er fuchtelt, er rauft sich die Haare, er verteilt sich über den ganzen Raum. Fragmente wie '60- bis 80-Stunden-Woche' 'nur eine einzige Woche Urlaub' 'Sie zerstören mein Leben' füllen das enge Büro, der Ausbruch wird in seiner Heftigkeit von Herrn Lucky mühsam in letzter Minute in Richtung Heulkrampf gelenkt. Speichel hängt aus seinen Mundwinkeln und korrespondiert mit den Panikschweißtropfen auf der kahlen Stirn des Sachnichtbearbeiters.

Sichtlich beeindruckt und überfordert von diesem emotionalen Ausbruch eines erwachsenen Mannes versucht der Beamte, Abstand zu schaffen und wieder gewohnten Sicherheitsbereich zu betreten, er öffnet einen Ordner mit Vorlagen, füllt ein Formular aus und schickt Herrn Lucky erstmal zur Zahlstelle.

Der aber ist viel zu schnell wieder zurück samt bezahltem Zahlschein, und wird wortlos, nur mit Armgeste, erst mal wieder auf den Flur hinausbefördert. Eine Viertelstunde dauert es, bis der nunmehr per Zahlschein Zuständige sich in seiner Stube gesammelt hat, er tritt heraus, schließ sorgfältig seine Türe, und bedeutet Herrn Lucky stumm und Blickkontakt vermeidend, bloß auf seinem Stuhl zu verbleiben.

In der Dreiviertelstunde, in der Herr Lucky nun auf seinem angewiesenen Stuhl im Flur des Kafka verbleibt, erschließen sich ihm die Geheimnisse der veschlossenen Türen. Die Sachbearbeiter bekämpfen die drohende Sansevierien-Vereinsamung ihrer Amtsstuben, indem sie sich wechselseitig zu zweit oder zu dritt in ihren Stuben besuchen und gegenseitig den gebrauten Kaffee probieren. Zweimal in der Dreiviertelstunde wurde hierzu eine neue Kaffeemaschine aus der Materialverwaltung angefordert. Beim Wechsel der Büros über den Korridor gelingt es den Sachbearbeitern nur müham, einen amtsgemäß beschäftigten, abweisenden Gesichtsausdruck herzustellen, der jedoch nicht mit den Gesprächen korrespondiert, die vorher aus den verschlossenen Türen drangen.

Endlich aber erscheint Luckys Sachbearbeiter wieder auf dem Flur, er ist heldenhaft selbst ins Archiv gestiegen und hat die Unterlagen besorgt, womit er wahrscheinlich zum ersten Mal in seiner 45-jährigen Karriere gegen mindestens 23einhalb Dienstvorschriften verstoßen. Wortlos verschließt er sich nach Sitzenbleiben-Geste in seinem Büro und übergibt nach weiteren 20 Minuten mit glasigem Blick ein Blatt Papier, das bestätigt, daß Herr Lucky schon einmal einen Führerschein hatte, 20 Jahre lang seit 1986. und daß er für diese Amtshandlung € 12,80 bezahlt hat.

Davon, daß Herr Lucky auch über eine Stunde auf die Ausübung seiner Menschenwürde verzichtet hat, indem er sich komplett mit Blut, Herz, Hirn und Gedärm über diese Amtsstube ergossen hat, steht nichts in dem Dokument.
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