Meine hieß Anna
Von vorne wie von hinten: Anna.
Ich hatte eine böse Oma, Berta, die Stiefmutter meiner Mutter, und eine gute, Anna, die "Oma vom Berg" (Im Dorf hatten alle Häuser neben Hausnummern auch Namen)
Die Oma vom Berg war klein, rund, eine richtige Bilderbuchoma. Ich wurde oft dort abgeladen als Kind, und hatte dort etwas, was ich sonst nie und nirgends hatte:
Sie ließ mich sein. Einfach sein.
Man brauchte keinen Grund, dort zu sein, man wurde nicht gefragt, was man gerade macht, sondern man war einfach da. War einfach. Geborgen.
Wahrscheinlich der einzige Ort dafür, damals.
Sie selber hatte auch meist am liebsten ihre Ruhe, blinder Aktionismus war nicht ihr Ding, und wenn ich da war, hatte sie Zeit, Abwasch, Putzen, alles konnte liegenbleiben.
Eine Insel für mich, vom Mutter-Regime.
Was sie aber mit mir tat, war in den Garten zu gehen. Mir zu zeigen, wie man Blumen sät und pflegt und vermehrt, wie die Pflanzen alle heißen, wofür sie gut sind, ihre Schönheit zu sehen.
Auch zu erklären, warum sie jetzt sterben oder krank sind, und daß das auch gut ist. Sie hat mich im wahrsten Sinne geerdet, noch heute bin ich im Garten nach spätestens 10 Minuten auf allen Vieren, lasse die Gerätschaften weg und buddele mit beiden Händen in der wohlriechenden Erde herum.
Oder sie nahm sich die Zeit, mit mir spazieren zu gehen. (Niemand nahm sich jemals Zeit für mich, Zeit gab es nicht, es gab nur Arbeit. Oder Erschöpfung.) Auf den Spaziergängen zeigte sie mir Ginster, Hagebutten und den Wald, verriet mir die Namen der Schmetterlinge, sah mit mir den Wolken hinterher und half mir über überfahrene Hasen hinweg.
Ich habe etwas, was mir bisher noch nichts und niemand nehmen konnte: ein Verständnis, ein Verstehen von Leben, vom Kreislauf des Ganzen, eine Art Grundvertrauen, das das Schlimme mit einschließt und einordnet.
Das habe ich von ihr, Anna, Oma vom Berg.
Sie hatte Diabetes, was ihr herzlich egal war, wenn sie nun mal Appetit auf Kuchen hatte. Als ich acht war, amputierte man ihr ein Bein. Ein langer Winter, ich wartete ungeduldig darauf, sie im Frühling dann eben im Rollstuhl spazieren zu fahren.
Dazu kam es nicht mehr, sie starb am 31. Marz 1977, war die erste Tote, die ich in meinem Leben sah, und sie fehlte mir unendlich an meinem ersten großen Fest, als ich ein paar Wochen später meine erste Kommunion hatte.
(Und es dauerte dann noch 2 Jahre, bis ich meiner Mutter dann endlich ein hinterstes Eckchen Garten nur für mich abgeschwatzt hatte, mit dem ich machen konnte, was ich wollte. Sie hatte Angst, daß´es verwahrlosen und ihrem Regiment entzogen werden könnte.)
Ich hatte eine böse Oma, Berta, die Stiefmutter meiner Mutter, und eine gute, Anna, die "Oma vom Berg" (Im Dorf hatten alle Häuser neben Hausnummern auch Namen)
Die Oma vom Berg war klein, rund, eine richtige Bilderbuchoma. Ich wurde oft dort abgeladen als Kind, und hatte dort etwas, was ich sonst nie und nirgends hatte:
Sie ließ mich sein. Einfach sein.
Man brauchte keinen Grund, dort zu sein, man wurde nicht gefragt, was man gerade macht, sondern man war einfach da. War einfach. Geborgen.
Wahrscheinlich der einzige Ort dafür, damals.
Sie selber hatte auch meist am liebsten ihre Ruhe, blinder Aktionismus war nicht ihr Ding, und wenn ich da war, hatte sie Zeit, Abwasch, Putzen, alles konnte liegenbleiben.
Eine Insel für mich, vom Mutter-Regime.
Was sie aber mit mir tat, war in den Garten zu gehen. Mir zu zeigen, wie man Blumen sät und pflegt und vermehrt, wie die Pflanzen alle heißen, wofür sie gut sind, ihre Schönheit zu sehen.
Auch zu erklären, warum sie jetzt sterben oder krank sind, und daß das auch gut ist. Sie hat mich im wahrsten Sinne geerdet, noch heute bin ich im Garten nach spätestens 10 Minuten auf allen Vieren, lasse die Gerätschaften weg und buddele mit beiden Händen in der wohlriechenden Erde herum.
Oder sie nahm sich die Zeit, mit mir spazieren zu gehen. (Niemand nahm sich jemals Zeit für mich, Zeit gab es nicht, es gab nur Arbeit. Oder Erschöpfung.) Auf den Spaziergängen zeigte sie mir Ginster, Hagebutten und den Wald, verriet mir die Namen der Schmetterlinge, sah mit mir den Wolken hinterher und half mir über überfahrene Hasen hinweg.
Ich habe etwas, was mir bisher noch nichts und niemand nehmen konnte: ein Verständnis, ein Verstehen von Leben, vom Kreislauf des Ganzen, eine Art Grundvertrauen, das das Schlimme mit einschließt und einordnet.
Das habe ich von ihr, Anna, Oma vom Berg.
Sie hatte Diabetes, was ihr herzlich egal war, wenn sie nun mal Appetit auf Kuchen hatte. Als ich acht war, amputierte man ihr ein Bein. Ein langer Winter, ich wartete ungeduldig darauf, sie im Frühling dann eben im Rollstuhl spazieren zu fahren.
Dazu kam es nicht mehr, sie starb am 31. Marz 1977, war die erste Tote, die ich in meinem Leben sah, und sie fehlte mir unendlich an meinem ersten großen Fest, als ich ein paar Wochen später meine erste Kommunion hatte.
(Und es dauerte dann noch 2 Jahre, bis ich meiner Mutter dann endlich ein hinterstes Eckchen Garten nur für mich abgeschwatzt hatte, mit dem ich machen konnte, was ich wollte. Sie hatte Angst, daß´es verwahrlosen und ihrem Regiment entzogen werden könnte.)
luckystrike - 2010/12/10 10:45