Mittwoch, 27. Juli 2005

deine sehr traurige hilde anke

Diesen Brief habe ich in einer kleinen altrosa gestrichenen Kommode gefunden, die ich mir im Trödel gekauft habe. Er ist vorbildlich mit Schreibmaschine getippt und die Fehler sind mit Bleistift korrigiert. Here goes:

Hilde Anke Berlin SW 61, den 30.12.1953

Lieber Fredi!

Heute, bevor das Jahr 1953 zu Ende geht, möchte ich Dir doch noch einmal ein paar Zeilen schreiben. Morgen sollen wir Silvester feiern, bei diesem Gedanken läuft es mir kalt über den Rücken.
Ich möchte Dir danken für alles- in der Hauptsache, wie Du mich behandelst - ich glaube, ein Tier wird oft besser behandelt.
Heute wieder loszubrüllen erstens im Büro Deine Bemerkungen zu machen und zweitens vor dem Angestellten Thiel. Ein Klotz am Bein bist du ja nun losgeworden und den zweiten marterst Du - es ist unbeschreiblich Dein Benehmen. Die anderen Herren im Büro denken ebenso wie ich, na, es sind Angestellte und die müssen schon nach Deiner Pfeife tanzen. Ich hätte esnie erwartet und habe oft Rücksicht genommen, daß Du viel im Kopf hast. Aber auch ich habe oft 10 und 12 Stunden im Büro gearbeitet, daran hast Du wohl nie gedacht, nur immer an Deine Person. Wie gesagt, Du springst mit Menschen um, das ist unglaublich und zumal mit Deiner Frau - bei anderen nimmst Du Dich immer noch manchmal in Acht.
Dies ist nun der Dank, daß man Dir in jeder Weise zur Seite stand. Dank kann man sowieso von niemand erwarten, aber wenigstens eine stille Anerkennung. Nein, auch diese ist nicht der Fall sondern gerade das Gegenteil. Ich habe nur stets das Beste gewollt, sei es hier zu Hause oder im Betrieb. Aber wenn Du so eingestellt bist, wenn ich sage weiß, dann sagst Du schwarz, ist jedes vernünftige Wort zwecklos.
Verzeih mir, wenn ich vielleicht in meinen Ausdrücken zu scharf gewesen bin, aber ich bin doch sehr sehr traurig, daß Du mich immer wieder angreifst und mit Dir kein vernünftiges Wort zu sprechen ist.
Deine
sehr traurige Hilde

Hat sie den Brief weitergegeben? War es ihre oder seine Kommode, in der der Brief über 50 Jahre lang gut aufgehoben lag?
Man weiß es nicht.
Mein ipod jedenfalls spielt tatsächlich während ich das tippe, im shuffle:
Knef: gestern hab ich noch nachgedacht
Cora Frost: gestern wollt ich noch sterben
Kate Bush: get out of my house
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