Ich weiß nicht, ob man einen solchen Beitrag wirklich einfach so hier einstellen kann und soll, so persönlich, so hart im Thema, so wenig literarisch überarbeitet.
Es ist sicher seltsam, an einem hundsgewöhnlichen Donnerstag mit einem solchen Thema konfrontiert zu werden, und ich habe länger drüber hin und her nachgedacht, bin aber zu keinem Schluß gekommen.
Fakt ist, das ist das, wo ich heute morgen war, und da twoday wieder mal nicht funktionierte, habe ich das offline geschrieben, war dann aber nicht zufrieden damit, daß es nicht online war, und so habe ich dann vorläufig entscheiden, es doch zu veröffentlichen.
Exhibitionismus? Vielleicht. Bedürfnis? Wahrscheinlich.
It's a Blog-Thing, obviously.
Es tut mir leid, wenn einer oder mehrere meiner Leser unverhofft mit einem solchen Thema konfrontiert wurden und dadurch in ihren Gefühlen ungewollt berührt sein sollten an einem solch schönen Sommertag.
Andererseits, vielleicht hilft es jemand, der im Netz nach Texten zu dem Thema sucht.
luckystrike - 2008/07/24 13:04
Die Nachricht vom Tod meiner Mutter erreichte mich völlig überraschend und alltäglich, im Büro. Ein Telefonanruf meiner Schwester, schon beim Blick auf den Display wußte ich, was passiert war.
Das war das, wovor ich mich seit Jahren am meisten gefürchtet hatte, und jetzt war es da. Darin lag, neben dem unglaublichen Schmerz und dem Wahnsinn, auch eine gewisse Erleichterung. Nichts ist schlimmer als die Angst. Bestimmt nicht das, wovor man sich gefürchtet hat.
Nach 8 hysterischen Stunden auf der Autobahn, einer Reise nicht nur über 800 Kilometer, kam ich irgendwie an, man frage mich nicht, wie.
Alle waren da, Schwester, Schwager, Schwager, Tante, Onkel, Neffe, die Reste unserer Familie, mit bleiernen tauben Gesichtern saßen sie stumm im Licht der Deckenlampe. Es war für sie ein langer schlimmer Tag gewesen, vom Anruf der Nachbarn, vom Einbrechen ins Haus, vom Finden meiner Mutter, die langen Minuten der Verzeiflung und Sorge, bis der Arzt eindeutig feststellte, daß sie schon länger tot war, der Stille danach.
Ängstlich suchten sie mein Gesicht nach Anzeichen ab, wie es mir gnge, sie machten sich große Sorgen, für sie war ich die am meisten betroffene Person in diesen Umständen.
"Ich nehme an, es gibt heute keinen Kappestetisch?" fragte ich. Meine Mutter hatte mir zur Ankunft immer mein Lieblingsessen gekocht.
Meine Schwester hatte entschieden, daß Mutter über Nacht zuhause bleiben sollte, bis ich da war, damit ich Abschied nehmen konnte. Darüber war ich sehr froh. Trotzdem dauerte es ein paar Stunden, bis ich den Mut fassen konnte, sie in ihrem Schlafzimmer zu besuchen. Seltsame Vorstellung, daß sie dort oben liegt, still, tot, wenn unten das Haus voller Gäste ist.
Als ich mich dann endlich langsam nach oben begab, lag sie dort auf ihrem Bett, in ihrem gelben Frottee-Schlafanzug, so vertraut und doch so fremd. Auf ihrem Gesicht war ein kleiner Abdruck, wo sie gefallen war, aber sonst sah sie friedlich aus. Dennoch, ein Toter ist ein fremdes kaltes Ding. Jeder Ausdruck, jede Haltung, die einen Menschen ausmacht, ist gelöscht. Eine leere Hülle. Und doch - ein Körper, wenigstens.
Es hatte einige Zeit gedauert, bis die Familie sich getraut hatte, sie aufzuheben und auf das Bett zu legen. Sie hatten nicht daran gedacht, ihre Hände übereinander zu legen, und irgendwie hatte ich das Gefühl, das würde sie wollen, und auch ihren Rosenkranz in ihre Hand hätte sie sicher gerne gehabt, sie war eine sehr gläubige Frau.
Irgendwie war es keine große Überwindung, sie anzufassen. Ich habe schon einige Tote gesehen, aber nie einen angefaßt. Aber das war schließlich meine Mutter.
Erschreckend aber war diese Kälte. Kälter als kalt, kälter als der Tod, diese Kälte stand in keiner Beziehung zur Umgebung. Sie ist absolut.
Und das meiner Mom, die immer so kälteempfindlich gewesen war, die zur voll aufgedrehten Heizung immer auch noch den Holzofen angemacht hatte. Als Kind hatte sie wohl sehr viel Kälte ertragen müssen.
Die Hände und die Arme waren steif vor Kälte, und so dauerte es einige Zeit, bis ich sie mit der Wärme meiner Hände so weit aufgewärmt hatte, bis ich ihre Hände übereinanderlegen konnte, und eine Hand so weit öffnen konnte, daß ich ihren Rosenkranz zwischen ihre Finger legen konnte. Die Hände, die so viel gearbeitet hatten in ihrem langen harten Leben, auch für mich.
Die Finger, die jetzt im Tod ganz zart und glatt waren, wie überhaupt ihre Haut ganz zart und glatt und eben geworden war, wie ich spürte, als ich ihr über die Wange strich.
Dann ging ich wieder zum Rest der Familie, die ich später in der Nacht fast gegen ihren Willen nach Hause schicken mußte. Ich wollte noch einige Zeit mit meiner Mtter verbringen, die so allein dort oben lag.
Wieder ging ich zu ihr, und es verschaffte mir einen seltsamen Trost und eine Beruhigung, meine Mutter anzufassen und zu halten, ihre Hände, jetzt so weich, ihr Gesicht, und ganz besonders ihre Schulter, diese starke runde Schulter. Es war gut gewesen, meine Mutter für diese eine Nacht noch zuhause zu behalten. Dort lag sie, in ihrem gelben Schlafanzug, so klein und weich und bleich und kalt.
Tagsüber im Leben war meine Mutter auch noch mit 80 eine sehr selbstbestimmte, aktive, umtriebige Frau mit starkem eigenen Willen gewesen, die auch manchmal hart und herrisch sein konnte. Wir hatten uns oft und heftig gestritten, weil sie einem ordentlich auf die Nerven gehen konnte.
Abends aber, wenn sie sich aufs Zubettgehen vorbereitet hatte, den Schlafanzug angezogen, die Dritten im Glas, dann kam sie immer noch einmal zu mir, und das waren unsere intimsten Momente, egal wie der Tag gewesen war. In diesen Minuten hatten wir andere Namen füreinander, Kosenamen, die niemand sonst kennt, und wir konnten uns zärtlch und liebevoll in den Arm nehmen und brauchten keine anderen Worte.
An der Wand neben ihrem Bett hing neben Familien- und Heiligenbildern auch ein altes Mariengebet, aus ihrer Kindheit wohl, das ihr wichtig gewesen sein mußte. Ich bete zwar nicht und glaube auch kaum, aber da sie ja nun keine Stimme mehr hatte, wollte ich ihr meine leihen, ich faltete meine Hände über ihre und betete das Mariengebt, drei Mal, für sie, statt ihrer.
Ein seltsames Gefühl ist es, wenn die Hände eines Toten langsam wieder warm werden, wenn man sie lange genug hält. Nach einiger Zeit beginnt man sogar einen Puls zu spüren, aber natürlich ist es nur das Echo des eigenen.
Einige Stunden saß ich noch so bei meiner toten Mutter, und wir schauten im Kopf das Fotoalbum der gemeinamen Erinnerungen, der 40 Jahre gemeinsamen Lebens an.
Als ich in den Morgenstunden dann endlich schlafen ging, ließ ich beide Zimmertüren auf, damit sie - und ich - wenigstens diese letzte Nacht nicht alleine schlafen mußte.
luckystrike - 2008/07/24 12:25