die schönsten franzosen hängen sehr öde in berlin

Überraschend in den Genuß einer VIP-Karte für die angeblich schönsten Franzosen gekommen. Frisch erholt aus dem Urlaub und voller Vorfreude macht man sich mit Onkel und bisher unbekannter Cousine auf den Weg in die Ausstellung, ausgestattet mit einem Audioguide und den Erinnerungen ans MOMA in New York.

Schon die Treppe nach unten läßt eine böse Vorahnung aufkommen: dort verweisen Plakate auf die Franzosen, die nebenan in der Alten Nationalgalerie hängen. Nicht weiter verwerflich, jedoch sind die Plakate wenig stilvoll in diesen billigen Plastikrahmen gehängt. Nun gut.

Also betritt man die Ausstellung und ist erst mal desorientiert, weil es doch sehr voll ist und es keinen empfohlenen Rundgang gibt. Der Audioguide begrüßt einen im besten Deutschfranzösisch, was man albern, aber auch drollig finden kann, ich entscheide mich für letzteres. Die Texte zu den Bildern spricht größtenteils Otto Sander, der ein Monopol auf alles, was gesprochen werden muß zu haben scheint.

Mit Entsetzen nehme ich die erste Hauptsünde und Lieblosigkeit der Ausstellung wahr: die angeblich schönsten Franzosen sind auf weißer Rauhfaser gehängt. RAUHFASER! Zusammen mit dem häßlichen dunklen Billigteppichboden und den ebenso billig aussehenden Abstandshaltern aus weißen Preßspan auf dem Boden ergibt sich der Eindruck, als ob ein Baumarkt aus der dritten Reihe seinen Praktikanten die Aufgabe gestellt hat, mal schön alle Kunstdrucke aufzuhängen.

Auch das Licht scheint eher uncharmant - nach 30 Minuten kratzen die Augen, zwar sind alle Bilder gleichmäßig ausgeleuchtet, jedoch tragen die Strahler nichts zu Dramaturgie oder sonstwas bei, sie machen einfach nur hell. Manchmal muß man sich sogar etwas seitlich vor die Bilder stellen, da das Licht sich auf ihnen spiegelt.

Da es keinen empfohlenen Rundgang gibt (oder habe ich ihn verpaßt?) suche ich mir meinen Weg danach, wo am wenigsten Besucher stehen. Dadurch, daß nur einige wenige Bilder mit Audiokommentar ausgestattet sind, stauen sich dort die meisten Besucher, und oft sind diese Bilder auch in den Ecken gehängt, so daß man sich praktischerweise die umliegenden Bilder ebenfalls nicht ungestört ansehen kann.

Nach 30 Minuten bin ich bei den wirklich schönen Bildern von Modigliani angekommen, und der Audioguide will mich mit diesem letzten tragischen Eindruck (erzählt wird die traurige Liebesgeschichte des letzten Portraits Modiglianis, der bald drauf starb, und die portraitierte schwangere Lebensgefährtin ebenfalls) aus der Ausstellung entlassen.

Moment! Also nochmal zurück, und so komme ich in der falschen zeitlichen und dramaturgischen Reihenfolge in den Genuß der Pointillisten, Impressionisten und der Klassiker. Leider erschließt sich so nicht die ästhetische Revolution, die die Impressionisten einmal waren, und der Eindruck der Bilder bleibt lauwarm.
Nicht nur bei Van Goghs Sonnenblumen oder Monets Seerosen stellt sich bei mir das ärgerliche Gefühl ein, daß die Bilder leergeguckt sind - man ist angeödet, weil man sie als Kunstdrucke schon in 1000 Zahnarztpraxen vom Wegschauen zur Genüge kennt. Die Schuld daran schiebe ich allerdings auf das lieblose Ambiente der Ausstellung.

Das einzige Bild außer den Modiglianis, das mich beeindruckt, ist die Jeanne d'Arc von Bastien-Lepage, ein komplett wahnsinnniges Bild. Leider ist es sehr besucherumvölkert, und riesengroß. Man müßte ein paar Meter zurücktreten können, um es sich richtig anzuschauen, aber der Gang vor dem Bild ist nicht breit genug. Schade.

Also Herrschaften, seien Sie gewarnt - löhnen Sie nicht den völlig überteuerten Eintritt (36,- inkl. Vorverkauf für ein VIP-Ticket) für eine viel zu volle, lieblos und billig zusammengestöpselte Geldmach-Ausstellung. Das haben die angeblich schönsten Franzosen nicht verdient.
Gönnen Sie sich was und gehen in eins der echten Museen, dort wo nicht der Hype regiert, und wo man den Bildern ihre Würde läßt. Denn dort können sie wirklich strahlen. Und dann sind sie auch wirklich schön.
kittykoma - 2007/10/01 11:27

danke mr. lucky, endlich sagts mal jemand. auch ich kam durch zufall zu einer karte - renommierterechtsanwaltskanzleiparty - and was not amused. die impressionisten der petersburger eremitage hatte ich schon mit zehn gesehen und dagegen fand ich die derzeit in berlin hängenden eher drittklassig. die interessanteren courbets hängen auf der museumsinsel, bessere rodin-plastiken gab es sogar hinter dem eisernen vorhang.
einzig die modiglianis und die jeanne d'arc, von der ich heman irgendwann wegzerren mußte (mit dem hinweis, das sei nichts originär französisches sondern von den englischen präraffaeliten inspiriert), sind mir im gedächtnis geblieben.
ansonsten kann man feststellen: reiche amerikaner haben nicht unbedingt ein gutes händchen für französische malerei.

luckystrike - 2007/10/01 11:37

uh, da bin ich ja erleichtert - ich dachte ich hätte was nicht verstanden oder verpaßt...
kittykoma - 2007/10/01 11:41

ich hab mich so ein bißchen gefühlt wie in "des kaisers neue kleider"
luckystrike - 2007/10/01 11:47

das triffts sehr gut - hätte ich meinen bericht viel viel kürzer formulieren können...
arboretum - 2007/10/01 20:50

ansonsten kann man feststellen: reiche amerikaner haben nicht unbedingt ein gutes händchen für französische malerei.

Manches von dem, was in amerikanischen Museen hängt, hängt dort, weil es von den Nazis 1937 in deutschen Museen beschlagnahmt und dann lukrativ verscherbelt wurde. Manchmal sieht man an den Rahmen noch die ursprünglichen Inventarnummern deutscher Museen. Das ist mir damals bei der Ausstellung ReVision im Frankfurter Städel an etlichen der vorübergehend zurückgeliehenen Werken aufgefallen. Das MOMA war damals auch dabei.
luckystrike - 2007/10/02 10:21

wie ist denn das eigentlich rechtlich? mal naiv gefragt?
arboretum - 2007/10/02 20:42

Soweit ich weiß, ist da nix zu machen. Das Städel hat einen Matisse (Fleur et Ceramique) zurückkaufen können, aber Werke wie van Goghs "Bildnis des Dr. Gachet" sind natürlich unwiderbringlich weg und wären heute eh unbezahlbar (vor einigen Jahren war es das teuerste Bild der Welt, als es dieser reiche Japaner für Unsummen ersteigerte. Er besitzt auch einen berühmten Monet und plante einmal, die Bilder mit ins Grab zu nehmen). Das "Bildnis des Dr. Gachet" konnte das Städel damals nicht einmal mehr für diese Ausstellung ausleihen. Sie konnten aber immerhin noch eine kleine Skizze davon zeigen.
luckystrike - 2007/10/03 10:49

grauenhaft, also in dem bereich bin ich wirklich für einen kommunistischen ansatz...
arboretum - 2007/10/03 21:33

Der kommunistische Ansatz wäre dann, solche Kunstwerke viele Jahre in den Magazinen der Eremitage und des Puschkin-Museums verschwinden - und teilweise auch verrotten - zu lassen. Seitdem die Duma ein Gesetz verabschiedet hat, dass die Beutekunst zur Teilentschädigung für Kriegsschäden an russischen Kulturgütern und zum nationalen Eigentum Russlands erklärt, ist da wohl auch nicht mehr viel zu machen.

Immerhin, den Goldschatz der Merowinger haben sie jetzt nach über sechs Jahrzehnten wenigstens in einer gemeinsamen Ausstellung wieder einmal zugänglich gemacht.
luckystrike - 2007/10/03 22:05

SO meinte ich das bestimmt nicht, ich meine nicht den schief gegangen realen, sondern einen idealen: ALLE bilder sollten der öffentlichkeit zugänglich sein.
mannomann, manchmal bin ich aber auch hoffnungslos. tsk tsk tsk
larousse - 2007/10/01 11:56

Das

erinnert mich an die Van Gogh Ausstellung in Amsterdam vor Jahren. Nicht nur leergeguckt, sondern für meine Begriffe auch farblich enttäuschend - alles nur kleine schmierige finstere suizidäre Öl-Bildchen... Durch die Zahnarztwartzimmerdrucke erhält man einen völlig verfälschten Eindruck. Da hätte ich mir auch ein Ohr abgeschnitten an seiner Stelle. Oder vielleicht auch einen Finger.

luckystrike - 2007/10/01 12:17

das eine ist wirklich ein problem: die abnutzung des kunstwerks im zeitalter der beliebigen reproduzierbarkeit - aber das andere ist ein verbrechen: ausstellungen auf weiße rauhfaser zu hängen. bjäch!
horizont (Gast) - 2007/10/01 14:45

Die Abnutzung des Kunstwerks in Zeiten der beliebigen Reproduzierbarkeit

Genau.
Bestes Beispiel: Madonna.
Nachgemacht, kopiert, neuerfunden, reproduziert (und das erst seit 1980)
und wir wissen ja, wie abgenutzt DIE mittlerweile schon aussieht.
Dagegen waren Goghs Kornblumen noch regelrecht schrittfrisch.
SchNittfrisch. Ich bitte um Verzeihung.

larousse - 2007/10/01 14:50

Hihi - "schrittfrisch", was für ein schönes Wort!!
luckystrike - 2007/10/01 19:56

na ich bin mir nicht sicher, aber hoffen wir, daß wenigstens das noch frisch ist.
Lenny_und_Karl (Gast) - 2007/10/01 15:32

Es könnte dennoch sein, dass die schlichte Ausstattung dazu diente nicht vom Wesentlichen abzulenken. Eigentlich alles eine Frage der Perspektive oder der Erklärung.
Als Studentin hab ich nur 5€ gezahlt. Und ja, das Moma war besser, es war fantastisch. Dennoch kann ich nicht sagen, dass es verschwendete Zeit war.

Mir gefielen viele Kunstwerke sehr gut, auch Van Goghs Lilien und da ich neben der Audioführung, die der Kinder auch mit gehört habe, war es auch noch lustig. Für mich ein schönes Stück Kunst.

luckystrike - 2007/10/01 19:58

ich stand irgendwann vor dem schlachtebild mit den vielen pferden, und hab mich dann sehr gewundert, daß mich im audio ein pferd vollwiehert - bis ichs dann gerafft hab.
kopffuessler - 2007/10/01 17:29

Vermag Dich das zu trösten?

luckystrike - 2007/10/01 19:58

hachjah, damit komm ich besser klar - prösterchen! sauf ich mir halt die rauhfaser schön...
Antiteilchen (Gast) - 2007/10/01 17:37

Da hängen eben die Originale und eben nicht die Poster. So sind unsere Sehgwohnheiten also schon verkommen, dass wir die Originale nicht echt finden. Ich stand vor vielen Bildern immer noch mit einer gewissen Ehrfurcht. Immer wieder beeindruckt von den Farben und dem Realismus mancher Bilder die nicht in die Maschinerie der Reproduzierbarkeit geraten sind. Die Rauhfaser habe ich gar nicht wahrgenommen, die Bilder zogen alle Blicke auf sich. Klar, die Lichtführung ist ein Debakel, auch die Orientierungslosigkeit ist ein Problem, welches aber wohl mit der Architektur der Neuen Nationalgalerie zu tun hat. Die weissen Sperrholzkästen auf dem Boden dienen der Alarmanlage. Zu weites drüber beugen und die Glocke geht los. Mir entsetzlicherweise passiert. Ich habe alle Bilder bereits vor Jahren in New York gesehen und ich kann ihnen sagen, da hingen sie noch katastrophaler als hier. Kunst schön zu präsentieren ist eben eine Kunst.

luckystrike - 2007/10/01 20:01

ich finde, wenn man eine ausstellung machen will, dann gehört eine anständige präsentation dazu. dramaturgie, präsentation, raum und licht. hier alles nicht entsprechend gegeben.
ich lad ja auch nicht jemand zum 5-gang-menu ein und schmeiß ihm dann das essen in papptellern vorn kiefer.
kittykoma - 2007/10/01 20:44

yep. vor allem wenn so ein hype vorausgegangen ist.
arboretum - 2007/10/01 20:44

Mit dem Licht ist das so eine Sache, wegen der Konservierung und so. Vielleicht war das der Grund.
luckystrike - 2007/10/02 10:20

oder es war ihnen egal - die leute strömen ja sowieso.
mammarazzi - 2007/10/05 01:35

schön geschrieben...

aber zu spät...ich war zweimal da, nur um ein paar blicke auf die wirklich schönsten bei dem gedränge zu erhaschen! dafür nur einmal bei der documenta...
das nächstemal mach ich das umgekehrt!
bis dahin gehe ich wieder in die tollen dauerausstellungen, die berlin zu bieten hat!

luckystrike - 2007/10/05 09:43

ganz meine empfehlung! und billiger ist es auch.
mammarazzi - 2007/10/05 10:58

na ja...

wie man es sieht, die nationalgalerie liegt quasi vor der haustür und nach kassel muss man mit dem ice...aber kann interessant werden...siehe in meinem blog, lach...
http://mammarazzi.twoday.net/stories/4274717/
luckystrike - 2007/10/05 11:05

oha - nee nee, da fahr ich lieber auto.
aber schöne bilder bei Ihnen!

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